
Frühlings-Beobachtungen
Das Jahr schreitet unbeirrbar voran. Ehe man es sich versieht ist Ostern auch schon wieder vorbei und während man eben noch die Heizung angeschaltet hatte schmiert man sich jetzt bereits wieder mit Sonnencreme ein. Der Drang meine Gedanken aufzuschreiben war nicht stark, was vielleicht ein gutes Zeichen ist. In den letzten Tagen hat sich jedoch wieder etwas angesammelt, über das ich heute berichten möchte.
Beobachtungen nach Außen
Plötzlich ist es Frühling geworden. Ich sitze im Halbschatten der Bäume und schaue mich um. Die Menschen um mich herum hatten das gleiche Bedürfnis nach etwas Sonne und Wärme. Bunt gemischt zieht es sie raus aus den anonymen Wohnungen, wo man sich gehen lässt, ohne dass es jemandem auffallen würde, hin zum dritten Ort, an dem Begegnung möglich ist. Ich mag das ehrliche Lächeln eines Fremden, wenn der Zufall kurz unsere Wege kreuzen lässt und es beide offen zulassen. Heute hat die Anzahl der Menschen aber diesen unsichtbaren Punkt überschritten, ab dem zu oft jemand entgegenkommt und es nur noch ein aneinander Vorbeilaufen ist. Das war ein Zeichen für mich, mich lieber irgendwo abseits auf eine Bank zu setzen und zu beobachten.
Zwei Schmetterlinge flattern wild umeinander kreiselnd an mir vorbei. Ein kleiner Hund ist schwer begeistert von einem im Baum sitzenden Eichhörnchen, stellt die Vorderbeinchen an den Stamm, schaut hinauf in die Baumkrone und wedelt fröhlich mit dem Schwanz. Die Nilgänse führen ihre Gänseküken zu ersten Ausflügen über den Weiher. Alles blüht auf, wird grün und bunt.
Der Rasen ist frisch gemäht, das sieht man und das rieche ich. Eine Elster nutzt die Gunst der Stunde und schnappt sich einen großen Schnabel voll Frischgemähtem für Ihr Nest. Wäre der Straßenlärm und die Geräusche der Handwerker in der Nähe nicht, wäre es fast idyllisch. Aber zumindest das Gefühl von Aufbruch stellt sich ein.
Beobachtungen nach Innen
Ich bin aber nicht nur für das Beobachten der Umgebung hier auf dieser Bank. Ich habe vor einigen Tagen begonnen den Roman meiner verstorbenen Freundin zu lesen und möchte ihn hier fertig lesen. Alleine schon um später etwas zu den Änderungsvorschlägen der Lektorin sagen zu können. Ich entdecke immer wieder ihre Vorliebe für Wortspiele. Und immer wieder blitzt ihr Gesicht vor meinem inneren Auge auf, wenn eine Erinnerung getriggert wird. Befürchtet hatte ich, dass es für mich emotional sehr schwer ist, mich mit dem Roman auseinander zu setzen. Aber das ist es nicht. Während in den letzten beiden Wochen jeweils ein Moment der starken Trauer und Tränen einsetzte, blieb es diese Woche aus. Es fühlt sich beinahe an, als hätte ich trotz aller Ungerechtigkeit, trotz aller Kraftanstrengung und erlittener Schmerzen meinen Frieden mit dem Geschehenen geschlossen. Es ist unveränderbar. Nur mein Umgang damit liegt in meinen Händen.
Statt dessen setzt ein Gefühl ein, dass sich dem Gefühl des Aufbruchs entgegenstellt. Ein Zweifel. Ein “Ist es schon soweit?”. Bin ich vielleicht nur gerade auf einem Wellenberg, auf dem ich übermütig auf mein Surfbrett steige und denke, von hier ab surfe ich jetzt bis zum Strand? Was denken die Leute von mir? Was erwarten die Leute von mir? Hat mich das überhaupt zu interessieren? Ich steig jetzt einfach auf…
Drei Fragen
Ich habe letztens das Buch “Drei Fragen” von Jorge Bucay gelesen. Auch wenn nichts grundlegend neues für mich darin stand, gab es viele Passagen, die hilfreich zu lesen waren. Da ich auch schon dazu gefragt worden bin, möchte ich hier in aller Kürze aufschreiben, was ich aus dem Buch mitgenommen habe.
Um die Frage “Wer bin ich?” zu beantworten braucht es Zeit für Selbstreflexion, Selbstakzeptanz und das An- und Übernehmen von Verantwortung für die eigenen Entscheidungen. Das geht nicht auf die Schnelle und ist meiner Meinung nach auch ein stetiger Prozess.
“Wohin gehe ich?” bedeutet anhand der Antworten aus Frage 1 zu erkennen, welches Ziel das eigene Leben hat. Das kann z.B. Spaß, Erlangen von Einfluss, Spiritualität oder eine bestimmte Aufgabe sein (Tierschutz, Krebsforschung, Gender Equality fördern.) Wichtiger als das Ziel ist aber der Weg. Es ist nicht ausschlaggebend ob man das Ziel erreicht, sondern ob man durch seinen Weg diesem Ziel näher kommt.
“Und mit wem?” Auch wenn Ziele vielleicht sehr individuell sind, sind grobe Richtungen universeller. Mit Menschen, die die gleiche Richtung im Leben anstreben, kann man den Weg gemeinsam bestreiten. Ziele sind dynamisch und so können sich auch die Richtungen ändern und Wege trennen. Wichtig ist, mit sich selbst ehrlich zu sein und sich nicht zu sehr für den Weggefährten zu verbiegen und aufzuopfern.
Mir ist bewusst, dass das ggf. ökonomische Zwänge ausblendet und ein Ideal ist, aber wonach strebt man, wenn nicht nach dem Ideal (oder einer Annäherung an dieses)?

