
Ich kann den Wind nicht ändern – nur die Segel drehen
Ich trage seit 2 Wochen den Drang in mir aufzuschreiben wie es mir geht, doch durch viel Arbeit und viele Gespräche habe ich nicht die Ruhe gefunden das zu tun. Mit der Zeit merke ich, wie es immer mehr wird, was ich in meinen Gedanken jongliere und nicht loslassen kann. Heute ist Ruhe und Leerlauf, keine Termine, keine Verpflichtungen. Die Katze sieht das anders, aber für diesen Moment wird sie überstimmt.
Wie es geht – und was es auslöst
Der letzte Eintrag hier ist lange her. Ich erzählte von meinem Kliniktermin und den Angstzuständen dabei. Mittlerweile liegt der Ersatztermin hinter mir und auch der hat nicht funktioniert. An dem Tag musste ich wegen des Regenwetters mit dem Bus fahren, der sehr voll war und den Venusberg hinauf im Stau stand. Auf etwa halber Höhe meldete sich die Angststörung und ich habe den Bus verlassen. Solche Situationen fühlen sich wie Niederlagen an. Mein Anspruch ist, zur Normalität zu finden und mich nicht von irrationalen Ängsten blockieren zu lassen. Aber so irrational die Ängste auch sein mögen, für meinen Körper sind sie in dem Moment real mit physischen Reaktionen. Und mein Vetrtrauen in meinen Körper ist noch nicht soweit wieder hergestellt, dass ich das aussitzen kann.
Ich versuche zu verstehen, was mich triggert um aus diesen Niederlagen zumindest etwas zu lernen. Beengte Situationen sind schwierig, Situationen aus denen ich gefühlt nicht einfach ohne mich zu Erklären herauskomme auch und wenn schmerzhafte Erinnerungen mit Situationen oder Personen verbunden sind ist es schwieriger. Es fällt mir leichter, wenn die Menschen um Angststörungen wissen und ich so den Punkt des “mich erklären müssens” beseitige. In Bewegung hatte ich noch nie Probleme, fast immer nur im Sitzen oder Verharren.
Das ist alles gut zu wissen, aber das soll ja nun nicht mein Leben sein. Ich habe also begonnen mich diesen Situationen auszusetzen, was mal besser und mal schlechter funktioniert. Aber ich habe immer großer Verständnis erfahren und darum bin ich sehr dankbar. Manchmal hat mein gegenüber auch gar nichts von alldem gewusst und bemerkt. Auch dafür bin ich dankbar. Durch diese alten und neuen Begegnungen versuche ich wieder mehr Leichtigkeit in mein Leben zu lassen. Man mag es beim Lesen dieses Blogs kaum glauben, aber ich würde das Thema Krankheit, Tod und Trauer gerne kleiner werden lassen. In den letzten 3 Monaten war es das beherrschende und in manchen Gesprächen auch das einzige Thema. Es darf jetzt einen Schritt zurücktreten, gleichberechtigt neben die anderen Lebensthemen, um dann irgendwann, wenn wir nicht darauf achten, im Hintergrund zu verschwinden und nur ab und zu wieder hallo zu sagen.
In nächster Zeit werde ich auch versuchen mich ab und zu zum UKB zu wagen, ohne Termine. Einfach hochgehen, vielleicht zum Eingang, vielleicht in die Cafeteria. Ich hoffe das erzeugt eine gewisse Desensibilisierung und Normalität im Umgang mit diesen Ort, der so viele starke Erinnerungen hervorruft.
Familienbesuch – und das Beschreiten unterschiedlicher Wege
Vorgestern war ich das erste Mal seit Anfang Januar wieder an Verenas Grab. Diesmal nicht alleine sondern mit einer alten Freundin von ihr. Ich hatte erwartet, dass ich bereits mit einen beklemmenden und widerstrebenden Gefühl hinfahre, aber stattdessen waren liebevolle, zugewandte Gefühle vorherrschend. Das war schön zu bemerken. Natürlich war der Besuch auf dem Friedhof selbst sehr traurig, aber anschließend kam die Sonne raus und wir konnten an der Mosel Spazierengehen und reden. Tags darauf war ich erneut am Grab, diesmal alleine. Ich verbinde kaum Erinnerungen an Verena mit diesem Ort. Ja, ihr Körper liegt dort und ihr Name steht auf dem Holzkreuz. Aber die Erinnerungen die ich mit ihr dort habe, sind von der Beerdigung ihrer Großmutter, auf der wir gemeinsam waren. Die prägendsten Erinnerungen an diesen Ort sind die von Verenas Beerdigung und dem 6 Wochen Amt. Wenn ich am Grab weine, habe ich das Gefühl nicht um die Verstorbene zu weinen, sondern um meinen Verlust und darum wie schwer diese beiden Tage für mich waren. Hier in Bonn ist es anders. Fast alles hier in Bonn hat eine Erinnerung an sie gekoppelt. Viele sind schön, manche machen mich traurig. Aber die schmerzhaften Traurigkeitswellen sind in den letzten Wochen weniger geworden und spülen die liebevollen Erinnerungen und die Dankbarkeit um die schöne Zeit vor und teilweise auch während ihrer Krankheit nicht mehr einfach davon.
Die letzten beiden Tage habe ich mit ihren Eltern und der Familie ihrer Schwester verbracht und wir haben gute, offene Gespräche geführt und ich freue mich für die Eltern, dass sie von Verenas Freundin schöne Erinnerungen geteilt bekommen haben. Unsere Ausgangslagen sind sehr verschieden und so ist auch unsere Trauer sehr verschieden. Die Annahme dieses Schicksalsschlags ist für eine Kernfamilie ungleich schwerer. Während die Tochter, die Schwester, die Patentante unwiederbringlich verloren ist und damit auch dieses soziale Konzept (mir fehlt ein passenderer Ausdruck, entschuldigung) nie wieder ausgefüllt werden kann, ist für mich eine Partnerschaft tragisch zu Ende gegangen. Der Mensch wird nie ersetzbar sein und Verena wird für immer ein Teil von mir bleiben (wie auch andere Menschen, mit denen ich intensiven, ehrlichen Kontakt hatte immer ein Teil von mir bleiben werden). Aber das soziale Konzept Partnerin wird irgendwann wieder in meinem Leben jemand besetzen. Damit will ich das nicht relativieren, und wer in den letzten 1,5 Jahren mit mir im Austausch war, der weiß das sicher, ich will nur mir und anderen verständlich machen, wieso der Umgang mit dem Verlust sehr anders ist und sein wird.
Ich hoffe, dass wir weiterhin ein gutes Miteinander pflegen können, auch wenn die Diskrepanz mit der Zeit wahrscheinlich immer größer wird. Und ich wünsche ihrer Familie gute Kontakte zum Reden und ein Annehmen der nach bestem Wissen und Gewissen und dem aktuellen Stand der Forschung getroffenen Entscheidungen.
Wie es weiter geht – und es wird Frühling
Ich werde jetzt versuchen wieder mehr Leichtigkeit in meinem Leben zuzulassen. Mich mehr raus ins Leben zu wagen, auch einfach mal treiben lassen. Erspüren wie es jetzt weiter geht und womit ich die Lücken im Leben und in der Wohnung füllen möchte. Ich habe Verena versprochen gut für mich und den Kater zu sorgen. Und das tue ich im Rahmen meiner Kräfte. Die Sonne und das frühlingshafte Wetter helfen tatsächlich sehr dabei.
Ich habe lange überlegt welchen Titel ich diesem Eintrag geben möchte. Es ist eine Zeile aus dem Song “Neuanfang” von Clueso geworden. Aus Gründen.

