
Von Fragilität und Resilienz
Bereits die ganze Woche trage ich den Gedanken mit mir rum, wieder einen Blogeintrag zu verfassen. Aber ich habe mir nicht die Zeit und Ruhe genommen, um etwas aufzuschreiben. Und ich wollte auch nicht, dass das hier ausschließlich praktische Trauerarbeit wird. Heute war jedoch wieder ein schwieriger Tag – der zweite diese Woche – und ich merke, dass ich mir dann eher Dinge von der Seele schreiben muss, als an Tagen wo es mir gut geht. Da müssen wir jetzt gemeinsam durch und hoffentlich ergibt sich in den nächsten Monaten, dass hier leichtere Tage und positive Erlebnisse aufgeschrieben werden.
Gefühlte Stabilität
Ich hatte seit dem letzten Post eine Phase, in der ich keine richtigen Rückschläge hatte. Die Arbeit war viel aber ok, ich hörte viel Musik, nutzte die Sonnenstunden die sich ergaben und war zumindest zweimal die Woche im Gym. Manchmal war ich wehmütig, musste aber nicht weinen. Es fühlte sich irgendwie “normal” an. Dann träumte ich drei Nächte in Folge von Verena. Es waren Träume von schöner Normalität, von gemeinsamen Urlauben, einfach von gemeinsamer Zeit. Der Morgen ist dann immer schwierig, weil diese Diskrepanz zwischen dem Traum und der leeren Wohnung klafft. Da hilft auch der Kater nur kurz, wenn er mir um die Beine streicht weil er sich auf sein Frühstück freut. Ich habe hier in der Wohnung oft Kopfhörer auf. Früher um Verena nicht zu stören. Jetzt auch um die Stille der Wohnung zu vertreiben.
Es sind schöne Träume, aber im Moment träume ich lieber nicht von ihr. Denn diese Diskrepanz macht, dass ich mir selbst leid tue. Nach der dritten Nacht setzte sich in meinem Kopf der Gedanke fest, dass ich in meinem Leben genau diese eine Person hatte, mit der ich über nahezu alles offen reden konnte und wollte. Und sie hat mich beruhigt und war in meinen schwachen Phasen für mich da, selbst als sie im Krankenhaus lag und gegen den Krebs kämpfte. Und nun ist sie nicht mehr da und ich muss alleine klarkommen.
Nein das stimmt nicht, ich muss nicht alleine klarkommen. Ich habe tolle Menschen, mit denen ich reden kann, denen wichtig ist, dass es mir gut geht. Aber in dem Moment sehe ich das nicht. Also schleife ich dieses beschissene Gefühl durch den Tag hinter mir her. An dem Tag habe ich einen Termin in der Augenklinik. Es ist der gleiche Weg hoch zur Klinik, wo Verena lag und verstorben ist. Ein anderes Gebäude zwar, aber es sieht alles gleich aus. Dort oben geht es mir überhaupt nicht gut und noch während ich auf die erste Behandlung warte bekomme ich eine Panikattacke und will da einfach nur noch raus. Dank der unheimlich verständnisvollen jungen Frau am Empfang bekomme ich noch einen neuen Termin im März und gehe wieder nach Hause meine Wunden lecken und mir weiter leid tun.
Ich hatte nicht erwartet, dass mich der Termin im Klinikum so umhaut. Manchmal reichen ein oder zwei kleine Auslöser um das stabil wirkende Gebilde Richtung Einsturz zu bringen. Man redet ja sonst nicht über so etwas wie Panikattacken. Doch ich habe mich gewundert, wer alles mit Verständnis und mit eigenen Erfahrungen dazu reagiert hat.
Resilienz schaffen
Schon am gleichen Abend habe ich Freunden davon erzählt. Der Austausch hilft das Gefühl zu vertreiben, ich müsse damit alleine zurecht kommen. Denn wie gesagt, ich bin nicht alleine. Ich habe seit einigen Jahren, und vor allem in der Endphase der Krebserkrankung und nach ihrem Tod, offen über Ängste und Gefühle geredet. Früher fiel mir das enorm schwer, aber ich merke einfach, wie sehr mir das Hilft. Ich glaube ohne ehrliche Kommunikation kann man sich kein tragfähiges, soziales Netz schaffen. Und das ist ein elementarer Bestandteil von Resilienz im eigenen Leben.
Seitdem liegt bereits wieder fast eine Woche hinter mir und die Woche war ganz gut. Wieder zweimal Sport, wieder ein bisschen Lesen in der Sonne. Ich versuche manchmal negative Gefühle mit Geschäftigkeit und Pläne Schmieden zu besiegen. Das hat den Vorteil, dass ich, als es mir an dem Tag so schlecht ging, zumindest einen sauberen Balkon hatte, auf dem ich jetzt gerne sitze. Denn den hatte ich in den Tagen, an den ich mit einem schlechten Gefühl gestartet bin, frühlingstauglich geputzt. Mit der Zeit füllt sich auch eine To-Do (eigentlich eher eine Could-Do) Liste, die konstruktive Dinge auflistet um die ich mich kümmern kann. So habe ich im Verlauf der Woche die Küche geputzt und ausgemistet (wozu genau brauche ich 2 Handrührgeräte? Eines bekommt jetzt ein Freund). Und ich habe Fliegengitter bestellt und angebracht. Durch meine Spinnenphobie hätte ich nämlich echt ein Problem damit mein Schlafzimmerfenster nachts gekippt zu lassen bei den Viechern, die da immer krabbeln. Mit Fliegengitter wird es gehen. Ich habe auch eine neue Lichterkette für den Balkon bestellt, weil die alte nicht mehr richtig funktioniert und immer schwächer leuchtet. Durch kleine, unaufwändige Dinge möchte in mein Leben Stück für Stück besser machen.
Ich habe diese Woche auch nochmal zurückgeschaut wie mein Weg in den letzten Jahren war und mir bewusst gemacht, wie wahnsinnig privilegiert ich bin. Obwohl die Wohnung für mich eigentlich zu groß ist und ich die Kosten nun komplett alleine tragen muss, ist das kein Problem. Und der Katze gefällt es eh. Finanzielle Sicherheit ist mir wichtig und ich habe meine Einnahmen und Ausgaben sehr gut im Blick. Jahrelang habe ich gelernt mit sehr wenig Geld auszukommen. Als dann mehr davon zur Verfügung stand, hatte ich weiter die Ausgaben gut im Blick und konnte mir so Spielräume schaffen, die mir da etwas Gelassenheit geben. Auch das ist für mich ein wichtiger Baustein für Resilienz in meinem Leben.
Zerbrechliches
Gestern beim Staubwischen und dabei eine Pflanze Verschieben ist mir leider die Kakadu Gipsfigur vom Kallax gekippt und zersplittert. Die Figur hatte Verena aus ihrer vorherigen Wohnung mitgebracht und es fühlte sich echt schlimm an heute. Mein erster Reflex war, eine neue zu bestellen. Ich habe mich aber dagegen entschieden. Die neue Figur hätte nichts mit Verena zu tun und letztendlich ist es nur eine Figur von Depot. Ich habe genug Erinnerungen an sie, die nicht einfach runterfallen und zerbrechen können.
Ihre Kleidung gehört nicht dazu. Nachdem einzelne Stücke im Freundeskreis vergeben wurden, wird der Rest jetzt nach und nach aussortiert und an Kleiderkammer (www.kleiderkammer-bonn.de) und die Zentrale Sammelstelle Sachspenden Bonn (https://www.zesabo.de) abgegeben. Den richtigen Zeitpunkt für das Durchgehen und Weggeben der Kleidung gibt es nicht, ich glaube für mich ist der richtige Zeitpunkt jetzt gekommen. Ich werde berichten wie es lief.

